Behrens, Martina, Wiesbaden

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Journalist and Communications scientist, Wiesbaden, Germany

RW.2 ICH SEHE NICHT, WAS ICH NICHT SEHE!
Instaled 19-05-2008
Location: Kunst:Raum Sylt Quelle, Germany, 54.857815,8.299227
Author: Quotation Heinz von Foerster
Roof Size | Font Size: 2464qm | 53,75m x 3,75m
On Air: 2012 Apple Maps, Bing Maps

ICH SEHE NICHT, WAS ICH NICHT SEHE!

Interview: Martina Behrens, Wiebaden 2008

 

Remotewords: „Ich sehe nicht, was ich nicht sehe!“ Ist das nicht eigentlich eine Tautologie?

Martina Behrens: Auf den ersten Blick scheint es so. Man fühlt sich an die eleganten Sprachspiele Wittgensteins erinnert. Gemeint ist aber eine Art „blindes Operieren“. Aus der möglichen Fülle picken wir uns immer nur Bruchteile heraus, was uns wichtig ist, was wir wieder erkennen und nehmen das dann als Basis für unser Handeln. Was wir nicht sehen, nehmen wir nicht wahr. Zum Beispiel das im toten Winkel überholende Cabrio, dem wir in die Seite fahren.

RW: Der so genannte blinde Fleck?

M.B.: Ja genau! Unsere Erkenntnis basiert auf dem, was wir schon wissen, baut darauf auf. Inklusive blinder Flecke. Bei Autofahren sind diese unsichtbaren Räume ja bekannt und können, wenn man den Faktor Zeit hinzunimmt, um öfter in den Rückspiegel zu schauen, auch umschifft werden. Das ist aber nicht immer so einfach?

RW: Wird es schwieriger, wenn man einen größeren gesellschaftlichen Rahmen berücksichtigt?

M.B.: Ersetzen wir doch einfach mal das griffige „Ich“ der traditionellen Subjektphilosophie durch das abstrakte „System“ der Luhmannschen Gesellschaftstheorie. Dann hieße es „Das System sieht nicht, was das System nicht sieht.“

RW: Moment, von welchem System sprichst Du jetzt?

M.B.: In unserer arbeitsteiligen Gesellschaft haben sich hochkomplexe Systeme gebildet, die sehr effizient bestimmte Funktionszusammenhänge lösen. Zum Beispiel Politik, Erziehung, Religion, Kunst oder Wirtschaft, und diese Systeme haben jeweils ihren eigenen Zuständigkeitsbereich. Wie ein Kellner, der nur an seinen 4 Tischen bedient. Wenn Du am falschen Tisch sitzt, kannst Du noch so lange rufen, er sieht Dich einfach nicht.

RW: Birgt das nicht Gefahren? Systemunfälle durch Scheuklappen?

M.B.: Jedes Gesellschaftssystem hat seine Risiken. Auch wenn wir Amazonasindianer wären, könnte unser Häuptling einen falschen Weg einschlagen und uns ins Verderben führen. Aber Du hast natürlich recht, Reformpläne, Hoffnungen, Ängste, Wünsche oder auch Befürchtungen werden von den Systemen, auch wenn Menschen sich das anders vorstellen, aufgrund ihrer Bauweise übersehen. Das Wirtschaftssystem beispielsweise funktioniert über das Medium Geld, und zwar besteht es im Luhmannschen Sinne aus Zahlungen und nur aus Zahlungen, alles andere, Häuser, Manager, Waren sind Teil der Umwelt. Das heißt, das System sieht nur Zahlungen, alles andere sieht es nicht.

RW: Kannst Du das noch ein bisschen verdeutlichen?

M.B.: Denk’ mal an den letzten Überwachungsskandal bei einer großen Lebensmittelkette, bei der Mitarbeiter ausspioniert wurden. Also aus Wirtschaftslogik spricht erst mal nichts dagegen, Mitarbeiter zu überwachen, um wie auch immer Zahlungseingänge zu optimieren. Das System ist völlig unempfindlich gegenüber öffentlicher Empörung. Es beobachtet sich selbst ja nur am Markt durch Zahlungen. Erst wenn Konsumenten diese Lebensmittelkette aufgrund des Imageverlustes bei ihrem Wocheneinkauf meiden, sieht das System anhand der Zahlungsrückgänge seinen Fehler und reagiert. Und dann reagiert es auch schnell. Während die Amazonasindianer vielleicht erst auf das natürliche Ableben ihres irrenden Häuptlings warten müssen, können im Wirtschaftssystem auch Personen über Nacht ausgetauscht werden und neue Strategien in Kraft treten.

RW: Das heißt, erst wenn etwas in der Sprache des Systems übersetzt ist, dann hört es auch darauf?

M.B.: Dann hört es ganz genau zu! Und kann auch flächendeckende Veränderungen in kürzester Zeit bewirken. Das erleben wir gerade an Hand der Biowaren. Jahrelang unverkäuflich und jetzt hat jeder Supermarkt ein umfassendes Sortiment. Wenn Zahlungseingänge verbuchen werden können, dann ziehen alle nach. Nicht, weil sie dem Verbraucher etwas Gutes tun wollen! Ethische Motive, auch wenn einzelne Personen diese bestimmt haben, spielen im System keine Rolle, sind sozusagen unsichtbar.

RW: Vielen Dank für die appetitlichen Ausführungen! Auch wenn ich von hier noch nicht sehe, was ich im Kühlschrank habe, dafür bezahlen muss ich auf jeden Fall.