Kulturhorizonte 2020

Goethe Institut Litauen

Interview
Weltraumtechnik statt Gänsefeder: Briefe an die Menschheit von zeitgenössischen Künstlern

Am vierten Abend des Diskussionszyklus „Kulturhorizonte 2020. Kulturelle Praktiken im digitalen Zeitalter“, den das Goethe-Institut und das Institut Français in Litauen zusammen mit der litauischen Nationalgalerie veranstalteten, stellte der Medienkünstler und Fotograf Achim Mohné Briefe auf Hausdächern vor, die über moderne Navigationssysteme an Menschen auf der ganzen Welt weitergeleitet werden. Das Thema des Abends, „Künstlerische Praktiken“, hatte schon vorher die Neugier darauf geweckt, wie Künstler die Vielfalt der modernen Technik nutzen. Wie sich herausstellte, registriert die neueste Technik eine sehr altertümliche Art zu kommunizieren: nämlich Zeichen, die nur aus großer Höhe zu erkennen sind.

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Wie hat Ihr künstlerischer Weg begonnen? Haben Sie sich von Anfang an für Technik interessiert?
Am Anfang habe ich fotografiert. Ich habe studiert und dann gleich für mehrere große deutsche Zeitschriften gearbeitet, aber das wurde mir ziemlich schnell langweilig. Dann war ich ein paar Jahre lang an der Kunsthochschule für Medien Köln und habe mich dort mit den modernen Medien beschäftigt. Seitdem greife ich in meiner Arbeit ständig auf das Internet und auf Computer zurück.

War Ihre erste Arbeit, für die Sie einen Computer brauchten, sehr kompliziert?
Das war das Projekt „CineCorpse“, für das ich etwas damals ganz Neues benötigte: nämlich E-Mail. Mein Freund, der Fotograf Hermann Feldhaus, wohnte in New York, und wir haben zusammen einen 16-mm-Kinofilm gemacht. Wir diskutierten zunächst per E-Mail, und dann filmten wir. Immerhin brauchten wir drei oder vier Wochen, um den Film zu machen. Denn für den Versand der Filmrollen von New York nach Berlin mussten wir die normale Post in Anspruch nehmen.

Eine der unangenehmsten Eigenschaften der neuen Technologien ist, dass sie sehr schnell veralten. Man muss ständig erprobte und liebgewonnene Mittel aufgeben und sich für Neuheiten interessieren, und deren Aneignung kostet oft einige Mühe. Ärgert Sie das nicht, oder stört es Ihre Kreativität?
Im Gegenteil, ich finde das sehr interessant. Schon seit der Technik bei „CineCorpse“ spiegelt sich der Fortschritt ständig in meinen Arbeiten wider. Nicht zufällig habe ich auch in meinem Vortrag in dieser Diskussion über die „Kulturhorizonte 2020“ betont, dass die Ergebnisse unseres Projektes REMOTEWORDS, die auf kurzen Notizen auf Gebäudedächern beruhen, sehr stark davon abhängen, wie sich die Technik von einer Etappe zur nächsten weiterentwickelt.

Interessieren Sie sich seit Ihrer Kindheit für Technik und Technologie?
Ja, ich habe mich immer sehr für Flugzeuge und Flugzeugtechnik interessiert, zum Beispiel für Navigationsgeräte. Das spiegelt sich auch in meinem Werk wider. Derzeit wird auf der Moskauer Biennale für zeitgenössische Kunst die neueste Ausstellung des Projekts REMOTEWORDS gezeigt: über einem Stadtplan von Moskau fliegen kleine Apparate, die von Besuchern der Ausstellung gelenkt werden und Bilder auf Monitore an der Wand übertragen. Diese Flugapparate sind keine Kunstwerke mit einer Füllung aus neuester Technik, sondern ganz einfache Spielzeuge mit Fernsteuerung.
Gab es keine Probleme mit der Zurschaustellung der Karte von Moskau? Bis vor ganz kurzem galten doch Luftbilder aller irgendwie bedeutenden Objekte als Staatsgeheimnis.
Nein, es gab keine Probleme. Aber wir haben festgestellt, dass das Projekt desto interessanter ist, je schwächer die Demokratie in dem jeweiligen Land ausgeprägt ist. REMOTEWORDS ist eine Herausforderung, die die Leute provoziert, sich öffentlich zu äußern. In der Ausstellung können sie das machen, indem sie direkt auf die Landkarte schreiben, aber wir suchen in Moskau auch nach einem geeigneten Dach, auf dem eine wirkliche Aufschrift erscheinen könnte. Ich sehe große Möglichkeiten zur Verbreitung von Informationen durch Navigationssysteme wie „Google Earth“. Schließlich werden ja die Karten von Google und einigen anderen Systemen gespeichert. Also bleiben auch Fotos mit unseren Aufschriften im Archiv erhalten. Irgendwann wird man die als dokumentarische Kapitel der Weltgeschichte durchblättern können.

In Ihrem Vortrag haben Sie erwähnt, dass die Besitzer vieler Hausdächer in Deutschland Sie nicht auf ihren Dächern schreiben lassen wollten. Ist es illegal?
Nein, das ist legal. Die Herstellung von Landkarten aus dem Weltall ist eine so neue Technik, dass es in Deutschland noch kein Gesetz gibt, das regelt, was und wie man auf Dächer schreiben kann. Dafür braucht man keine Genehmigung – allerdings, wenn man eine Aufschrift an seiner Hauswand anbringen will, muss man die genehmigen lassen, auch wenn die Schrift nur ein Zehntel so groß ist.
Vielleicht wäre es leichter, sich mit den Hausbesitzern zu einigen, wenn wir ihnen fröhliche Botschaften anbieten würden. Aber unser Projekt ist keine Show, sondern ein Kunstwerk, deshalb bemühen wir uns immer, dass ein Sinnbezug zwischen der Aufschrift und dem Gebäude besteht. So haben wir zum Beispiel in einem Vorort von Johannesburg „Stadt des Lichts“ auf ein Dach geschrieben. Denn in diesen Schwarzenvierteln gibt es immer noch keinen Strom. In Deutschland steht auf dem Dach eines Gebäudes einer ehemaligen Kohlengrube „Was bleibt, ist Zukunft“. Was für eine Zukunft hat eine Region, in der Hunderte von Gruben geschlossen werden?

Die Aufschriften sind in verschiedenen Sprachen. Warum verwenden Sie Wörter und nicht allen verständliche Piktogramme?
Zuerst haben wir auch an Bildchen gedacht. Ich bin ja Fotograf und meine Partnerin bei diesem Projekt, Uta Kopp, ist Designerin. Aber wir haben uns für Texte entschieden. Natürlich, wenn Sie die Aufschrift auf dem Hausdach in Johannesburg gesehen haben, müssen Sie sich erst Informationen beschaffen, um zu begreifen, was da steht. Aber die Aufschriften zwingen auch uns selbst dazu, uns näher mit den Besonderheiten des Ortes zu beschäftigen, an dem wir arbeiten, uns einen tieferen Einblick in die Kultur zu verschaffen und aktiver mit den Leuten zu diskutieren. Denn nur so findet man einen kurzen und umfassenden Satz.

Und warum haben Sie in Estland auf das Tallinner „Kumu“-Museum auf englisch „Click“ geschrieben?
Zuerst haben wir irgendetwas auf estnisch gesucht. Aber dann haben wir uns darauf geeinigt, dass das Land stark vom Internet als sehr wichtiges Instrument der Demokratie abhängt, so dass dieses Symbol tatsächlich sehr gut dazu passt: Auf einen Link im Internet klicken, das ist wie eine Tür zu öffnen. Was dahinter ist, wird jeder selbst erfahren.

Kommt es Ihnen nicht so vor, als stellten Sie diese Berichte weniger für die Menschen als vielmehr für das Auge Gottes zusammen?
Dieser Aspekt ist in dem Projekt auch vorhanden. Heute, da um die Erde so viele Satelliten kreisen, werden die Aufschriften von Menschen bemerkt, die Navigationsprogramme benutzen. Aber solche oder ähnliche Mitteilungen sind in der Menschheitsgeschichte nichts Neues. Früher waren sie nur für das Auge Gottes bestimmt. Fast alle alten Kulturen haben solche Erdkunstwerke hinterlassen – Botschaften, die nur aus großer Höhe zu erkennen sind.

Wie lange wird es dieses Projekt noch geben?
Keine Ahnung. Vielleicht fünf Jahre? Ich weiß nur, dass die Aufschriften auf den Dächern bestimmt mindestens zwanzig Jahre halten, denn wir haben eine Spezialfarbe verwendet.

Vielen Dank für das Gespräch.
06.10.2011