Vom zivilen zum sozialen Ungehorsam und zurück (1)
REMOTEWORDS: Mit unserem Statement beziehen wir uns auf Henry David Thoreau, auf den der Begriff „Ziviler Ungehorsam“ zurückgeht. Er hat sich geweigert seine Steuern zu entrichten, weil er die Sklaverei zu seiner Zeit, Mitte des 19. Jahrhunderts, nicht akzeptierte. Er wollte somit demonstrieren, dass er den Staat nicht anerkennt. Der Begriff ist seit seinem Aufsatz „Civil disobedience“ (2) präsent, obwohl es sowohl vor als auch nach Thoreau aktiven zivilen Ungehorsam gab. Zivil Ungehorsame waren beispielsweise Mahatma Ghandi, die amerikanische schwarze Befreiungsorganisation, Nelson Mandela und viele andere. Wie definiert sich ziviler Ungehorsams heute?
Andrea Pabst: Ziviler Ungehorsam war und ist vor allem ein politischer Begriff, der von unterschiedlichen Gruppen ebenso unterschiedlich definiert wurde und wird. Für einige bedeutet er einfach etwas nicht Folge zu leisten. Andere knüpfen ganz enge Bedingungen daran, etwas zivilen Ungehorsam zu nennen, unter anderem, dass die Aktionen offen und angekündigt sein müssen, dass eine Regelverletzung nur erlaubt ist, wenn alles andere ausgeschöpft ist oder z.B. dass man bereit ist, dafür ins Gefängnis zu gehen.
REMOTEWORDS: Ist das nicht auch die Definition von Habermas? Er stellt neben der Begrenzung auf gewaltfreie Mittel des Protestes die Intention in den Mittelpunkt, welche nicht von Eigeninteresse bestimmt sein darf.
Andrea Pabst: Habermas hat eine eher enge Definition von zivilem Ungehorsam vorgelegt. Der US-amerikanische Geschichtsprofessor und Aktivist Howard Zinn steht beispielsweise für eine eher weite Definition, wenn er zivilen Ungehorsam als bewusste Rechtsverletzung für einen grundlegenden sozialen Zweck versteht.
REMOTEWORDS: Ghandis Salzmarsch erinnert in seiner Symbolkraft an künstlerische Performance. Ebenso bildhaft ist das Wegtragen der Sitzblockaden durch die Polizei, z.b. bei den Castorblockaden: Sie leisten keinen Widerstand, wehren sich nicht, erzielen aber eine hohe Aufmerksamkeit durch ein fast theatralisches Bild. Und demonstrieren Gemeinsamkeit. Welche Rolle spielt heute der antimilitärische, der gewaltfreie Aspekt im zivilen Ungehorsams im Sinne der Gegenüberstellung: zivil – militärisch? Wie sieht das in der Anti-Globalisierungsszene aus? Du hast dich unter anderem mit den Demonstrationen zum G8 Gipfel in Heiligendamm auseinander gesetzt.
Andrea Pabst: Hier kommt ganz schnell der Gewaltbegriff ins Spiel, der ja politisch hochbrisant ist, weil er je nach politischem Bedarf definiert wird. Die Vorstellungen über die Legitimität oder Illegitimität von Gewalt als politischem Mittel gehen auch in aktivistischen Kreisen sehr weit auseinander. Zudem führt der nicht nur alltagssprachlich diffuse Begriff der Gewalt dazu, dass Sachbeschädigung und physische Angriffe auf Menschen insbesondere in den Medien gerne in einem Atemzug genannt werden. In aktivistischen Kreisen wird hier durchaus unterschieden und so z.B. die Zerstörung von Genmaisfeldern als gewaltfreier Protest verstanden.
REMOTEWORDS: Du beschreibst in deinem Aufsatz „Vom zivilen Ungehorsam und zurück“ (1) den Fall einer Gruppe AktivistInnen, die einen Schaden von immerhin 2,5 Millionen an einem Militärjet auf dem Flughafen in Shannon anrichteten und frei gesprochen wurden, weil sie dem Richter klarmachen konnten, das sie gehandelt hatten, um die Teilnahme am Irakkrieg zu verhindern, indem sie Kriegsgerät zerstören, also handelten um ein ethisches Ziel zu erreichen. Das klingt ja nach einer recht toleranten Rechtsprechung. Du schreibst aber auch, dass seit dem 11. September der zivile Ungehorsame schnell mit terroristischen Aktivitäten in Zusammenhang gebracht wird.
Andrea Pabst: Das Besondere an genanntem Fall war, dass es sich um ein Geschworenengericht handelte. Die Angeklagten mussten also vor allem überzeugend diesen gegenüber argumentieren und nicht nur gegenüber einem Richter. Anders der Fall der „Militanten Gruppe“ in Deutschland: Bei dem Versuch Militärlaster in Brand zu stecken, wurden 2007 mehrere Aktivisten unter Terrorverdacht gestellt. Die Beschuldigten wurden unter anderem der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ angeklagt und nach § 129 a (dem sogenannten Terrorparagraphen) behandelt. Dies führt zu weitgehenden Entrechtungen des Beschuldigten, mit allen Folgen wie Überwachung, Untersuchungshaft auch ohne Fluchtgefahr, Isolationshaft. Für diese unterschiedlichen Behandlungen spielen sicher nicht nur jeweilige nationale juristische Besonderheiten eine Rolle, sondern auch die jeweiligen rhetorischen und argumentativen Strategien der AktivistInnen. In dem einen Fall handelten sie beispielsweise bewusst offen, legten die Beweggründe ihrer Tat umfassend und für eine breite Öffentlichkeit dar, während die „Militante Gruppe“ klandestin handelte. Vergleiche mit ähnlichen Aktionen der Pflugscharbewegung in den 1990ern Jahren zeigen aber auch, dass der Sicherheitsdiskurs seit dem 11.9.2001 hier einen großen Einfluss hat.
REMOTEWORDS: Die ganze Sicherheitsdiskussion hat sich also sehr negativ auf demokratische Aktivitäten ausgewirkt?
Andrea Pabst: Ganz klar. Diese Stigmatisierung als Terroristen wäre vor dem 11.9 so eher unwahrscheinlich gewesen. Auch die Proteste gegen den G8 Gipfel in Heiligendamm 2007 wurden durch zigfache Hausdurchsuchungen kriminalisiert, oft unter Berufung auf §129 a.
REMOTEWORDS: Du sprichst in deinem Text auch über sozialen Ungehorsams. Wenn ich das richtig verstehe, hat die italienische Widerstandsgruppe der Disobidienti gesagt, das der Begriff des zivilen Ungehorsam
durch den des sozialen Ungehorsams abgelöst werden müsse.
Andrea Pabst: Der Begriff wurde nach Genua entwickelt, nachdem ein Demonstrant ums Leben kam. Man sagte, die klassische Form des zivilen Ungehorsams können wir nun nicht mehr ausführen. Die Demonstration als staatlich anerkannte Protestform ist zu gefährlich geworden. Der soziale Ungehorsam sollte sich auf alle Bereiche beziehen: am Arbeitsplatz, beim Einkaufen usw. Der Begriff des sozialen Ungehorsams macht aber meines Erachtens vor allem rhetorisch Sinn, weil ein neuer Begriff eingeführt wird, der auch neue Aufmerksamkeit erzeugt.
REMOTEWORDS: Am Schluss deines Aufsatzes sprichst du über Elke Stevens, die vorschlägt lieber vom sozialen Gehorsam zu sprechen.
Andrea Pabst: Diese Idee finde ich sehr anregend. Sie bezeichnet zivilen Gehorsam als Akt, der „auf die Verletzung der Ordnung durch staatliches Handeln aufmerksam“ machen soll. Sie verweist damit auf die Staatsbezogenheit des Begriffes „zivil“. Hier scheint der Begriff jegliche Attraktivität für AktivistInnen zu verlieren.
REMOTEWORDS: Manchmal bewegt sich der zivile Ungehorsam ja auch in sehr gehorsamen Bahnen. Aber als Schlusswort würde ich gerne den letzen Satz deines Aufsatzes zitieren: „Der zivile Ungehorsam lebt eben gerade vom Regelbruch“.
1) Andrea Pabst: „Vom zivilen zum sozialen Ungehorsam und zurück“ aus „Nicht alles tun“ , Unrast Verlag, Hrsg: Jnes Kastner und Elisabeth Spoer 2008
2) Henry David Thoreau „ On the duty of civil disobedience“ USA, 1849